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Gesundheitsatlas: 3,5 Millionen Menschen in Deutschland mit medikamentös behandeltem Asthma

Jungen bis 14 Jahre und ältere Frauen ab 70 am stärksten betroffen

(19.11.20) In Deutschland leben laut dem aktuellen "Gesundheitsatlas Asthma" des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) etwa 3,5 Millionen Menschen mit einem medikamentös behandelten Asthma. Das entspricht einem Anteil von 4,2 Prozent der Bevölkerung.  Die höchsten Krankheitsraten finden sich bei Jungen bis 14 Jahren und bei älteren Frauen ab 70 Jahren. Im Bundesland-Vergleich sind die Einwohner von Nordrhein-Westfalen mit 4,7 Prozent am stärksten von Asthma betroffen. Großstädte weisen im Vergleich zu ländlichen Regionen insgesamt eine leicht erhöhte Asthma-Häufigkeit auf. "Möglicherweise kann das mit der Luftverschmutzung erklärt werden, die als Risikofaktor für die Erkrankung gilt", sagt Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO.

Der Gesundheitsatlas stellt erstmals die Krankheits-Häufigkeiten für die 401 Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland auf Basis eines eigens entwickelten Hochrechnungs-Verfahrens dar. Danach sind Heidelberg und der brandenburgische Kreis Dahme-Spreewald mit jeweils 2,9 Prozent die Regionen mit dem geringsten Anteil von Asthma-Patienten. Am stärksten betroffen sind die Landkreise Sonneberg mit 6,5 Prozent sowie Eisenach und Saalfeld-Rudolstadt in Thüringen mit jeweils 6,2 Prozent. "Zur Vermeidung von Neuerkrankungen und Verbesserung der Asthmasymptomatik sollten Landräte und Bürgermeister in den besonders stark betroffenen Regionen die verschiedenen Risikofaktoren in den Blick nehmen. Dazu zählen eingeatmete Stoffe, die die Lunge schädigen - insbesondere das Rauchen", betont Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO. Der Rauchverzicht sei daher eine wichtige Präventionsmaßnahme für Asthmapatienten.

Auf der Ebene der Bundesländer sind Nordrhein-Westfalen (4,7 Prozent), das Saarland (4,6 Prozent) und Thüringen (4,6) laut Gesundheitsatlas besonders von Asthma-Erkrankungen betroffen. Besonders niedrige Krankheitshäufigkeiten zeigen sich dagegen in Mecklenburg-Vorpommern (3,4 Prozent) und Baden-Württemberg (3,7 Prozent). Unter den Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern hat Dortmund mit 5,0 Prozent den höchsten Anteil von Asthma-Patienten, gefolgt von Essen (4,9 Prozent) und Nürnberg (4,6 Prozent). Am unteren Ende der Liste steht Stuttgart mit einem Anteil von nur 3,7 Prozent.

Deutliche Unterschiede nach Alter und Geschlecht

Grafik: Anteil der Asthma-Patienten (in Prozent) der bundesdeutschen Wohnbevölkerung in den Kreisen bzw. kreisfreien Städten

Diese und weitere Grafiken im PDF
der Pressemitteilung unten

Bei der Krankheitshäufigkeit zeigt der Gesundheitsatlas zudem deutliche Unterschiede nach Alter und Geschlecht. In der Altersgruppe bis 14 Jahre sind Jungen mit 5,4 Prozent deutlich häufiger an Asthma erkrankt als Mädchen mit 1,9 Prozent. Im Erwachsenenalter sind Frauen zwischen 70 und 79 Jahren mit 6,8 Prozent am stärksten betroffen. "Die höhere Prävalenz bei den Jungen hat vermutlich anatomische Gründe und lässt sich durch die engeren Bronchien erklären. So kommt es leichter zu einer Verengung der Atemwege, wie sie beim Asthma bronchiale vorliegt. Im Erwachsenenalter sind die Bronchiendurchmesser dann bei Männern größer als bei Frauen, was die Umkehrung der Geschlechterverhältnisse erklärt", so Schröder. Weitere Gründe für die Geschlechtsunterschiede könnten aber auch hormonelle Einflüsse oder geschlechtsspezifische Unterschiede beim Kontakt mit Asthma-auslösenden Substanzen sein.

Zusammenhang zwischen Asthma und Adipositas 

Der Gesundheitsatlas bestätigt einen Zusammenhang, der bereits aus anderen Studien bekannt ist: In Regionen mit einem hohen Anteil von Menschen mit krankhaftem Übergewicht (Adipositas) ist auch die Rate der Asthma-Erkrankungen erhöht. So zeigt sich im Fünftel der deutschen Regionen mit dem höchsten Adipositas-Anteil eine Asthma-Häufigkeit von 4,5 Prozent. Das Fünftel mit dem niedrigsten Adipositas-Anteil hat dagegen eine Asthma-Häufigkeit von nur 3,8 Prozent. "Verschiedene Studien haben gezeigt, dass eine Gewichtsreduktion bei stark übergewichtigen Asthmapatienten zu einer Verbesserung der Krankheitskontrolle beitragen kann. Das Abnehmen wird diesen Patienten auch in der Nationalen Versorgungsleitlinie empfohlen, damit sich die Asthma-Symptome bessern", erklärt der stellvertretende WIdO-Geschäftsführer Schröder.

Zum Hintergrund

Asthma bronchiale, häufig verkürzt als „Asthma“ bezeichnet, ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung der Atemwege, die zu anfallsartig auftretender Verengung der Atemwege führt. Bei einem Asthmaanfall empfinden Patienten akute Atemnot und Brustenge, begleitet von den Symptomen Husten und Giemen – einem charakteristischen, pfeifenden Atemgeräusch, das auf die Verengung der Bronchien hinweist. Es gibt verschiedene Formen von Asthma. Die Hauptformen stellen das allergische und das nicht-allergische Asthma dar, wobei viele Patienten auch an einer Mischform erkrankt sind.

Zu den wichtigsten Risikofaktoren gehören allergische Erkrankungen, eine genetische Veranlagung (Allergien oder Asthma bei Eltern oder Großeltern), Entzündungen im Hals-Nasen-Ohren-Bereich sowie die Exposition gegenüber Reizstoffen in der Luft, wie zum Beispiel Tabakrauch, Chemikalien oder Luftverschmutzung.

Wichtigste Säule der Therapie von Asthmapatienten ist ein gutes Management der Erkrankung unter adäquatem Einsatz der verfügbaren Medikamente, ergänzt um nichtmedikamentöse Maßnahmen. Ziel ist es, das Asthma gut unter Kontrolle zu haben, sprich: Asthmaanfälle möglichst komplett zu vermeiden, sodass das Alltagsleben der Patienten nicht durch die Asthmaerkrankung eingeschränkt wird.

Damit den Patienten mit Asthma bronchiale das Management ihrer Erkrankung gut gelingen kann, gibt es zahlreiche seriöse Informationsquellen sowie die strukturierten Disease-Management-Programme, die regelmäßige Kontrollen der Therapieziele und Schulungsangebote vorsehen. Gut informierte Patienten können so in der Notsituation eines akuten Asthmaanfalls richtig handeln und Krankenhauseinweisungen vermeiden.

Verschiedene Statistiken aus dem Gesundheitswesen belegen eine Erfolgsgeschichte: In den letzten 20 Jahren sind die Sterblichkeit und Krankenhausfälle aufgrund von Asthma in Deutschland deutlich zurückgegangen. Das zeigt, dass Asthma mit guten Management- und Therapiestrategien weitgehend kontrolliert werden kann. Allerdings weisen Auswertungen der Disease-Management-Programme noch auf Verbesserungspotenzial bei einigen Indikatoren hin - zum Beispiel hinsichtlich der Nutzung von Schulungsangeboten.

Die Ergebnisse des Gesundheitsatlas zum Zusammenhang zwischen Asthma und Adipositas bestätigen Untersuchungen aus der wissenschaftlichen Literatur, wonach Übergewicht und Adipositas die Entstehung eines Asthmas begünstigen bzw. die Symptomatik bei bestehendem Asthma verschlechtern. Alle Maßnahmen zur Vermeidung von Übergewicht und Adipositas sind also zu begrüßen.

Tabakrauchen ist ein weiterer bedeutsamer Risikofaktor bei Asthma. Rauchverzicht ist daher eine der wichtigsten Präventionsmaßnahmen, die unternommen werden können. Dabei geht es nicht nur darum, selbst nicht zu rauchen, sondern auch darum, Passivrauchen zu vermeiden. Die Vermeidung der Tabakexposition mindert nicht nur das Asthmarisiko selbst, sondern führt bei Asthmapatienten zu einer Verbesserung der Symptomatik, wodurch sich die benötigte Medikamentenmenge zur Asthmatherapie reduzieren lässt. Außerdem ist auch das Rauchen während der Schwangerschaft schädlich, weil es das spätere Risiko des Kindes erhöht, Asthma bronchiale zu entwickeln. Auf Rauchen sollte daher in allen Lebenslagen verzichtet werden.

Allergien gelten als Risikofaktor für die Entstehung von Asthma. Allergiker sollten daher gegebenenfalls eine spezifische Immuntherapie durchführen lassen, um einen "Etagenwechsel", also die Veränderung eines "Heuschnupfens" hin zu Asthma bronchiale, zu vermeiden. Leider zeigen Untersuchungen, dass diese Therapien häufig nicht konsequent durchgeführt, sondern frühzeitig abgebrochen werden. Daher sind Maßnahmen zur Förderung der Therapietreue bei der spezifischen Immuntherapie unterstützenswert.

Auch wenn die aktuelle SARS-CoV-2-Pandemiesituation insbesondere für Asthmapatienten zahlreiche wichtige Fragen aufwirft, sind die heutigen Erkenntnisse doch sehr begrenzt. Nach aktuellem Wissensstand wird davon ausgegangen, dass Asthmapatienten kein erhöhtes Risiko haben, sich mit SARS-CoV-2-zu infizieren. Darüber hinaus scheint ein gut kontrolliertes Asthma nicht mit einem erhöhten Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf verbunden zu sein. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse wird empfohlen, die bestehende Asthmatherapie unverändert fortzuführen - insbesondere eine Langzeittherapie mit inhalativen Steroiden. Damit das SARS-CoV-2-Infektionsrisiko verringert wird, sollten auch Asthmapatienten die wichtigen AHA-Präventionsmaßnahmen mit Abstand, Hygiene und Alltagsmasken berücksichtigen.

Kontrolle der Erkrankung in der Pandemie besonders wichtig

Die wichtigste Säule der Therapie von Asthma-Patienten ist ein gutes Management der Erkrankung unter adäquatem Einsatz der verfügbaren Medikamente, ergänzt um nicht-medikamentöse Maßnahmen. Das Ziel, die Erkrankung gut unter Kontrolle zu haben, steht daher auch in den Disease-Management-Programmen der gesetzlichen Krankenkassen für Asthma-Patienten im Vordergrund. Asthma-Anfälle mit Luftnot sollen möglichst komplett vermieden werden, sodass das Alltagsleben der Patienten nicht durch die Erkrankung eingeschränkt wird. Vor dem Hintergrund der aktuellen Coronavirus-Pandemie sei dies besonders wichtig, betont Helmut Schröder: "Erste Studienergebnisse weisen darauf hin, dass bei einem gut kontrollierten Asthma nicht von einem erhöhten Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf ausgegangen werden kann."

Innovatives Verfahren ermöglicht Aussagen auf lokaler Ebene

Für den Gesundheitsatlas wurde ein neuartiges Hochrechnungsverfahren verwendet, das für diesen Zweck vom Wissenschaftlichen Institut der AOK in Zusammenarbeit mit der Universität Trier entwickelt wurde. Es erlaubt auf Basis der Abrechnungsdaten der AOK-Versicherten zuverlässige Aussagen zu Krankheitshäufigkeiten in der Gesamtbevölkerung bis auf die lokale Ebene. Unterschiede zwischen den AOK-Versicherten und der Gesamtbevölkerung in Bezug auf Alter, Geschlecht und Krankheitshäufigkeit werden dabei durch ein innovatives statistisches Verfahren herausgerechnet. Neben dem Vergleich der tatsächlichen Krankheitshäufigkeit enthält der Gesundheitsatlas auch eine Modellrechnung, die einen „fairen“ Vergleich zwischen den Regionen ermöglicht: Hierbei werden die Unterschiede herausgerechnet, die durch die unterschiedliche Alters- und Geschlechtsstruktur der Bevölkerung in den einzelnen Kommunen des Landes entstehen.

Erklärtes Ziel dieser Analysen ist es, den Akteuren vor Ort fundierte Informationen über das Krankheitsgeschehen in ihrer Region bereitzustellen. Der Gesundheitsatlas kann den Akteuren vor Ort helfen, Handlungsansätze zu identifizieren, die der Verbesserung der Gesundheitssituation und damit auch der Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger dienen. In die Analyse einbezogen wurden Patienten mit einer ärztlich dokumentierten Asthma-Diagnose oder einer Teilnahme am DMP Asthma, die zudem ein Asthma-spezifisches Medikament erhielten.

(Pressemitteilung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) vom 19.11.20)