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Wie kann man Kindern Katastrophen erklären?
Krise, Krieg und Flucht
24.03.22 (ams). Der Krieg in der Ukraine ist in den Medien allgegenwärtig: Bilder von fliehenden Frauen und Kindern, von Bombenangriffen und zerstörten Städten lassen uns hilf- und fassungslos, manchmal auch ängstlich, zurück. Wie gehen Kinder und Jugendliche in Deutschland mit diesen Bildern und Informationen um? Sollte man ihnen diese furchtbaren Ereignisse erklären oder sie davon fernhalten? "Die Hauptaufgabe von Eltern ist es, Sicherheit und Geborgenheit für Kinder auch in unruhigen Zeiten herzustellen. Dazu ist es wichtig, dass sie auch für ihre eigene seelische Stabilität sorgen", sagt Dr. Astrid Maroß, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie im AOK-Bundesverband. Sie erklärt, wie das gelingen kann.
Kinder bekommen viel mit – Sprechen Sie darüber!
"Kinder bekommen oft viel mehr mit, als wir glauben. Sie sehen Bilder und Videos im Fernsehen und auf ihren Smartphones, sie hören Gespräche mit, sehen vielleicht große Mengen von geflüchteten Menschen in ihrer Stadt und sie spüren die Anspannung der Eltern, auch wenn diese ihre Gefühle nicht vor den Kindern äußern", so Medizinerin Maroß. Eine Folge können Trennungs-, Verlassens- und Existenzängste sein: Das Kind befürchtet, dass ihm oder seinen Eltern Ähnliches passieren könnte. Gleiches geschieht mit den Erwachsenen - je nach eigener Vorgeschichte und Persönlichkeit reagieren Eltern unterschiedlich und müssen gegebenenfalls zuerst dafür Sorgen tragen, selbst seelisch stabil und im Gleichgewicht zu sein.
Radio O-Töne von Dr. Astrid Maroß, Ärztin im AOK-Bundesverband
Statt Ängste der Kinder abzuwiegeln, sollten Eltern nachfragen, was dem Kind Sorgen bereitet. Schon das Wahrnehmen und "Darüberreden" hilft, wenn Kinder darüber reden möchten. Eltern sollten versuchen, die Geschehnisse möglichst nüchtern zu erklären und selbst in einer Verfassung zu sein, in der sie Orientierung, Ruhe und Zuversicht geben können. Dabei ist es hilfreich, in einer entspannten Atmosphäre zu sprechen und altersgerecht zu sprechen. Nicht immer führen solche Gespräche zum gewünschten Ziel, denn auch die Grundkonstitution und das momentane emotionale Bedürfnis des Kindes spielen eine Rolle. Einfache Rezepte sind daher schwer zu geben. Wenn Eltern in einem guten empathischen Kontakt mit ihrem Kind sind, kann der Umfang und der Inhalt eines Gesprächs am besten gesteuert werden. "Wichtig ist auch, nicht auf dem Thema zu beharren und zu akzeptieren, wenn das Kind im Moment nicht weiter darüber sprechen möchte", so Dr. Maroß. Vor allem kleine Kinder wechseln - aus Selbstschutz - manchmal spontan das Thema.
Wichtig: Kinder altersgerecht ansprechen
Je nach Alter ordnen die Kinder die Dinge unterschiedlich ein, daher ist eine altersgerechte Ansprache notwendig. Kindergartenkinder reagieren beispielsweise oft sehr emotional und ängstlich. Hier können Eltern Trost und Sicherheit vermitteln, indem sie zum Beispiel erklären, dass wir in Deutschland sicher sind, den Verletzten geholfen wird und Flüchtlinge von anderen Menschen aufgenommen werden. Außerdem können Eltern vorleben und anleiten, wie man hilfreich mit Ängsten umgehen kann. Kinder im Schulalter beschäftigen sich häufig schon mit dem Hintergrund eines Krieges. Eltern beschreiben daher die Geschehnisse am besten möglichst sachlich. Wenn Kinder zum Beispiel ein Bild dazu malen oder eine Geschichte schreiben, können sie ihre Gefühle ausdrücken und verarbeiten. Das kann ein guter Anlass sein, mit dem Kind über seine Gefühle ins Gespräch zu kommen.
Mit Teenagern wiederum ist eine Diskussion über Ethik und Politik möglich und sinnvoll. Dabei ist es wichtig, dass sie lernen: Ein Krieg wird auch in den Medien und um Informationen geführt. Eltern müssen bei diesen Gesprächen ihre eigenen Ängste nicht verstecken. Über Emotionen zu sprechen, kann helfen, leichter mit ihnen umzugehen. Aber Eltern sollten sie nicht auf die Kinder übertragen. Für Kinder ist es nämlich hilfreich zu sehen, wie ihre Eltern Ängste bewältigen. Im Hier und Jetzt bleiben, sich nur einmal am Tag in den Medien informieren, Sport und Bewegung zum Stressabbau, sich vor endlosen Katastrophenfantasien zu schützen, aktiv zu werden - all das kann Eltern helfen, eigene Ängste nicht eskalieren zu lassen. Für sich selbst sorgen, heißt manchmal auch, dass Eltern für sich selbst Entlastung und Hilfe holen müssen - um dann ihren Kindern helfen zu können.
Gemeinsame Aktionen helfen
Altersgerechte Informationsangebote können beim Gespräch mit Kindern unterstützen: Die Initiative "SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht" empfiehlt dazu Kindernachrichtensendungen wie "logo!" "neuneinhalb" oder das Kinderradio "Kiraka". Auf www.frieden-fragen.de finden Kinder Austausch zu Fragen von Krieg und Gewalt. Auch Online-Angebote wie Flimmo, Blinde Kuh, oder Hanisauland können dabei helfen, das Thema Krieg kindgerecht zu erklären. Allerdings sollte man gut abwägen, ob eine zusätzliche mediale Beschäftigung mit Informationen, Bildern und Videos eines relativ nah stattfindenden Kriegs das jeweilige Kind mehr verunsichert oder mehr stabilisiert - also mehr schadet oder mehr nützt. Da ist ein sensibler und empathischer Draht zum eigenen Kind gefragt. Je jünger das Kind, desto weniger benötigt es Informationen, sondern um so mehr emotionale Sicherheit.
"Wenn Kinder aktiv werden möchten, dann kann man zum Beispiel zu Hause eine Kerze für Betroffene anzünden, selbst für Geflüchtete spenden, Spenden sammeln oder sich kindgerecht an lokalen Hilfsaktionen beteiligen. Andere Kinder kommen besser klar, wenn ihr Alltag mit seinen Abläufen unverändert ist", rät Dr. Maroß.
Respektvoll miteinander umgehen
Krieg und seine Folgen sind inakzeptabel und schlimm. Das können Eltern deutlich machen. Doch man sollte versuchen, dass es sich nicht negativ auf das soziale Miteinander in Schule, Verein oder Nachbarschaft auswirkt, meint Maroß: "Hier sind Eltern Vorbilder, indem sie zeigen, dass man weiterhin respektvoll und wertschätzend miteinander umgeht, egal woher ein Mensch kommt. Frieden beginnt im Kleinen." Daneben sollte das Leben weitergehen, so die AOK-Expertin: "Belastendes und Bedrückendes sollte nicht den gesamten Raum einnehmen. Halten Sie vertraute Routinen der Kinder wie Sport- und Freizeitaktivitäten ein, das wirkt beruhigend. Man darf lachen und sich freuen - auch wenn an einem anderen Ort Krieg ist. Unternehmen Sie mit Ihren Kindern schöne und unbeschwerte Dinge, wie einen Familienausflug oder einen Kinobesuch."
Weitere Informationen:
"SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht." ist eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der beiden öffentlich-rechtlichen Sender Das Erste und ZDF sowie der AOK – Die Gesundheitskasse.
Deutsche Gesellschaft für Kinder-und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie