"Uns eint das Ziel, die Arbeitssituation der Pflege deutlich zu verbessern"
Konzertierte Aktion Pflege: Drei Fragen an Martin Litsch

Martin Litsch
20.07.17 (ams). Zusätzlich zu gesetzlichen Maßnahmen wie dem Pflegepersonal- Stärkungsgesetz (PpSG) will die Bundesregierung mit einer Konzertierten Aktion Pflege (KAP) Schwung in die pflegepolitische Debatte bringen. "Pflege muss wieder cool werden!", so hat es Familienministerin Franziska Giffey formuliert. Zusammen mit ihren Kabinettskollegen Gesundheitsminister Jens Spahn und Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil hat sie die KAP Anfang Juli gestartet. Mit im Boot sind Pflegeverbände, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser, die Kirchen, Pflege- und Krankenkassen, Pflegende und Pflegebedürftige, die Berufsgenossenschaft, die Bundesagentur für Arbeit und die Sozialpartner.
Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, etwa ein Drittel der Pflegeprofis würde den eigenen Beruf im Freundes- und Bekanntenkreis auf keinen Fall weiterempfehlen. Das klingt eher uncool. Wo muss die KAP konkret ansetzen?
Litsch: Der Arbeitsverdichtung in der Pflege entgegenwirken, Arbeitsbedingungen spürbar verbessern, Nachwuchs stärken: Diesen Dreiklang hat die Bundesregierung selbst vorgegeben, und daran wird sich die KAP am Ende messen lassen müssen. Verlässliche Arbeitszeiten sind wichtig. Die Schichten sind meist auf Kante genäht und wenn mal einer ausfällt, steht oft kein Springer bereit. Diejenigen, die dann eigentlich frei hätten, müssen länger ran. Das sorgt für Unmut. Alle Beteiligten eint das Ziel, eine qualitativ gute Pflege für die Betroffenen sicherzustellen. Maßgeblich hierfür ist, dass in einer personal- und beziehungsintensiven Dienstleistung wie der Pflege die Rahmenbedingungen für Pflegekräfte so gestaltet werden, dass der Beruf ergriffen wird und nicht, dass Pflegekräfte aus dem Beruf weglaufen. 2016 ist die Zahl der Ausbildungsanfänger und -anfängerinnen im Pflegebereich laut Statistischem Bundesamt auf über 63.000 gestiegen. Das sind 43 Prozent mehr als noch 2006 und darf uns alle doch auch ein wenig optimistisch stimmen. Und mit den zahlreichen Gesetzen in der vergangenen Legislaturperiode ist ja auch bereits Einiges auf den Weg gebracht worden, auf dem sich aufbauen lässt.
In Umfragen sagen jedoch knapp drei Viertel der Pflegefachkräfte, dass sich die bisherigen Pflegestärkungsgesetze in keiner Weise positiv auf ihren Arbeitsalltag auswirken. Inwieweit kann die KAP dann überhaupt auf den Pflegestärkungsgesetzen aufsetzen?
Litsch: Angesichts der zum Teil höchst unbefriedigenden Situation, insbesondere wegen des Fachkräftemangels und der Arbeitsbelastung, kann ich den Unmut verstehen. Und dennoch: Mit der letzten Pflegereform sind mehrere Maßnahmen festgezurrt worden, die viel mit der Attraktivität des Pflegeberufs zu tun haben, beispielsweise eine angemessene Bezahlung. Tariflöhne dürfen von den Vertragspartnern nicht mehr als unwirtschaftlich abgelehnt werden. Als Kostenträger können wir Nachweise darüber verlangen, dass das vereinbarte Gehalt auch tatsächlich bei den Pflegekräften ankommt. Und es gibt den gesetzlichen Auftrag, im Pflege-Qualitätsausschuss ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur Personalbemessung in Pflegeeinrichtungen zu entwickeln.
Auch der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff bietet die Chance, das Berufsfeld der Pflege attraktiver zu machen. Es geht nicht mehr darum, die reinen Verrichtungsmaßnahmen, die ein Pflegebedürftiger braucht, durch eine Pflegekraft vollständig übernehmen zu lassen, sondern den Pflegebedürftigen zu aktivieren und anzuleiten, seine Fähigkeiten wiederzuerlangen oder zumindest die erhalten. Verschiedene Pilotprojekte, die auf dem neuen Verständnis von Pflegebedürftigkeit beruhen, haben gezeigt, dass mit dem damit verbundenen Perspektivwechsel die fachliche Kompetenz der Pflegekräfte stärker in den Vordergrund rückt. Das wird auch die Arbeit der Pflegefachkräfte zum Positiven verändern. Aber ich glaube auch, dass wir hinsichtlich der Pflegereform und ihrer Wirkung wir geduldiger sein müssen. Der angesprochene Perspektivwechsel wird sich nicht von heute auf morgen einstellen, wenn man 20 Jahre lang anderen Kriterien gefolgt ist. Die Entwicklung des neuen Verfahrens zur Personalbemessung ist auf einen Zeitraum bis 2020 angelegt. Die Zeit werden wir auch brauchen, um taugliche Instrumente zu entwickeln.
Welche Rolle kann der AOK-Bundesverband im Rahmen der KAP spielen?
Litsch: Die Vielfalt der KAP-Beteiligten zeigt, dass ein großes Bündel an Maßnahmen notwendig ist, um den Herausforderungen in der Pflege entgegenzutreten. Oft bedarf es auch nicht zwingend einer gesetzlichen Regelung, sondern eher Hilfestellungen, Arbeitshilfen oder Handlungsempfehlungen. Die AOK hat die Federführung etwa bei Verhandlungen von Rahmenverträgen und Vergütungsvereinbarungen auf Landesebene. Wir haben große Erfahrung in der Gestaltung von Selektivverträgen und interprofessionellen Pflegemodellen. Die AOK verfügt über umfangreiche Expertise im Betrieblichen Gesundheitsmanagement – für die physisch wie psychisch anstrengenden Pflegeberufe eine extrem wichtige Aufgabe. Hier würden wir als AOK gerne unser Wissen in die Waagschale werfen. Die größte Herausforderung wird am Ende für alle Beteiligten sein, sich aus den eigenen Positionen herauszubewegen. Wie gesagt, uns alle eint das Ziel, die Arbeitssituation der Pflege deutlich zu verbessern und der Arbeitsverdichtung entgegenzuwirken. Und es hat sich bewährt, durch eine breite Beteiligung auch eine stärkere Verbindlichkeit zu schaffen.