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Wildwuchs bei neuen Dienstleistungen

11.09.20 (ams). Mit dem "Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheke“ sollen in erster Linie ortsnahe Apotheken in der Fläche gefördert werden. Das Ziel ist aus Sicht des AOK-Bundesverbandes richtig, der Weg dorthin aber in Teilen fragwürdig. So sei völlig unklar und intransparent, was sich konkret hinter den "pharmazeutischen Dienstleistungen" verberge, die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und deutsche Apothekerschaft künftig aushandeln sollen. Es werde nicht einmal im Nachgang für die GKV ersichtlich, welcher Versicherte tatsächlich welche Leistung erhalten habe, warnt die AOK. Der Kassenverband spricht seiner Stellungnahme zur Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages von Wildwuchs.
"Neue Angebote sollten sich am konkreten Versorgungsbedarf der Patientinnen und Patienten orientieren und einen echten Mehrwert mit sich bringen", heißt es in dem Papier. Mit dem Gesetz will die Bundesregierung "die flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch ortsnahe Apotheken stärken" und für einen "fairen Wettbewerb" zwischen ausländischen Versandapotheken und heimischen Präsenzapotheken sorgen. Der Gesetzentwurf sieht zudem vor, dass die Krankenkassen den als Corona-Sonderregelung eingeführten Botendienst der Präsenzapotheken dauerhaft finanzieren. Wegen ungeklärter europarechtlicher Fragen lag ein früherer Gesetzentwurf der Bundesregierung seit Mitte 2019 auf Eis. "Aus Sicht der EU-Kommission verstoßen die Pläne gegen EU-Wettbewerbsrecht. Eine Klärung hat sich durch den Amtswechsel bei der EU-Kommission und durch die Corona-Pandemie verzögert", erläuterte der Vertreter der AOK in Brüssel, Evert Jan van Lente.
Der Bundestag hat jetzt am 11. September 2020 in erster Lesung über das Gesetz debattiert. Dabei gehe es insbesondere darum, Boni- oder Rabattangebote europäischer Versandapotheken für rezeptpflichtige Medikamente zu unterbinden, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in seiner Rede zur Einbringung des Gesetzes. "Wir wollen kein Wild-West mehr beim Bonus“, erklärte der CDU-Politiker. Die Präsenzapotheken hätten während der Corona-Pandemie unter Beweis gestellt, wie wichtig Beratung und Service vor Ort seien.
Nach Angaben der FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus gab es bis einschließlich Juli dieses Jahres zwar neun Gespräche zwischen Berlin und Brüssel, aber noch keine Einigung. "Das Gesetz ist deshalb weiter europarechtswidrig", entgegnete sie dem Minister. Aschenberrg-Dugnus warf der Bundesregierung vor, das Rabatt-Thema hochzuspielen. Versandapotheken hätten in Deutschland einen Marktanteil von nur einem Prozent bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. "Der Erhalt der Vor-Ort-Apotheken wird nicht durch Boni gefährdet", stellte Aschenberg-Dugnus klar.
Der Gesetzentwurf beinhaltet außerdem mehr Geld für den Notdienst. Als Beispiel für die "neuen Dienstleistungen" der Apotheken nannte Spahn "eine intensive pharmazeutische Betreuung bei einer Krebstherapie oder die Arzneimittelversorgung von pflegebedürftigen Patienten in häuslicher Umgebung“. Neue Leistungen soll die GKV künftig mit jährlich 150 Millionen Euro zusätzlich vergüten. Inklusive Umsatztsteuer seien dies etwa 178,5 Millionen Euro, rechnet der AOK-Bundesverband in seiner Stellungnahme vor. Am 16. September ist der Gesetzentwurf Gegenstand einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages.